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Was ist Lipödem?

Was man über Lipödem wissen sollte

Lipödem: Eine unterschätzte Erkrankung des Fettgewebes – Aktueller Stand der Forschung

Das Lipödem ist eine chronische, nahezu ausschließlich bei Frauen auftretende Erkrankung, die durch eine symmetrische, disproportionale Vermehrung des Unterhautfettgewebes an Beinen und/oder Armen gekennzeichnet ist. Typische Symptome sind Druckschmerz, Schweregefühl und eine erhöhte Neigung zu Hämatomen. Trotz ihrer Häufigkeit wird die Erkrankung häufig mit Adipositas oder dem Lymphödem verwechselt, was zu Fehldiagnosen und unzureichender Behandlung führt.

Pathophysiologie: Mehr als nur Fettvermehrung

Neuere Studien zeigen, dass das Lipödem nicht einfach eine ästhetische Fettverteilungsstörung ist, sondern mit spezifischen pathophysiologischen Veränderungen des Fettgewebes einhergeht. Dazu gehören unter anderem eine Hypertrophie der Adipozyten, interstitielle Fibrosierung sowie eine entzündliche Infiltration durch Immunzellen, insbesondere M2-Makrophagen. Diese Hinweise deuten auf einen chronisch-entzündlichen Charakter der Erkrankung hin.

Zudem zeigen genetische Analysen, dass bestimmte erbliche Faktoren eine Rolle spielen könnten. Eine genomweite Assoziationsstudie aus dem Vereinigten Königreich identifizierte Marker, die mit der Entstehung des Lipödems assoziiert sein könnten. Auch hormonelle Einflüsse (z. B. Östrogenrezeptoren) werden als möglicher Trigger diskutiert.

Diagnostik: Klinisches Bild und Abgrenzung

Die Diagnose wird primär klinisch gestellt. Zu den diagnostischen Kriterien zählen:

  • Symmetrische Fettvermehrung an Beinen und/oder Armen bei normalem Rumpf

  • Schmerzhaftigkeit des Gewebes

  • Hämatomneigung

  • Nicht vorhandenes Stemmer-Zeichen (im Gegensatz zum Lymphödem)

Die Abgrenzung zur Adipositas oder zum sekundären Lymphödem ist essenziell, da sich die Therapieansätze deutlich unterscheiden. Bildgebende Verfahren wie hochauflösender Ultraschall, MRT oder auch die Fluoreszenz-Lymphangiographie können in Zweifelsfällen eingesetzt werden.

Therapiemöglichkeiten: Konservativ und operativ

Ein interdisziplinärer Therapieansatz ist entscheidend. Die konservative Behandlung umfasst:

  • Kompressionstherapie

  • Manuelle Lymphdrainage (MLD)

  • Bewegungstherapie mit Gelenkentlastung (z. B. Aquagymnastik)

  • Ernährungsberatung (zur Begleitung bei möglicher Adipositas)

Bei fortgeschrittenem Lipödem oder unzureichendem Ansprechen auf konservative Maßnahmen kann eine Liposuktion – insbesondere in tumeszenter Technik und lymphschonend durchgeführt – die Beschwerden deutlich lindern. Erste Daten aus kontrollierten Studien belegen eine signifikante Schmerzreduktion, Verbesserung der Beweglichkeit und erhöhte Lebensqualität.

Langfristige Beobachtungsstudien wie die LIPLEG-Studie evaluieren derzeit den Nutzen und mögliche Risiken operativer Maßnahmen im Hinblick auf Rückfälle und Lebensqualität.

Psychosoziale Belastung: Die unsichtbare Dimension

Neben den körperlichen Beschwerden stellt das Lipödem auch eine erhebliche psychische Belastung dar. Viele Betroffene berichten über mangelndes Verständnis im medizinischen Umfeld, depressive Symptome, Körperbildstörungen und soziale Isolation. Eine psychologische Mitbetreuung sollte deshalb integraler Bestandteil eines individuellen Therapiekonzepts sein.

Fazit

Das Lipödem ist eine häufig verkannt und unterdiagnostizierte Erkrankung mit komplexer Pathophysiologie. Eine frühzeitige, differenzierte Diagnose sowie ein individualisiertes, interdisziplinäres Behandlungskonzept sind zentral, um die körperlichen Beschwerden und psychosozialen Belastungen der Betroffenen wirksam zu adressieren. Die aktuelle Forschung weist den Weg zu einem besseren Verständnis dieser chronischen Erkrankung – es bleibt jedoch weiterhin ein hoher Bedarf an Aufklärung, Weiterbildung und wissenschaftlicher Evidenz.

Quellen:
  1. Kruglikov, I. L., Joffin, N., & Scherer, P. E. (2020). The MMP14-caveolin axis and its potential relevance for lipoedema. Nature Reviews Endocrinology. https://doi.org/10.1038/s41574-020-0395-z

  2. Felmerer, G., et al. (2020). Adipose Tissue Hypertrophy, An Aberrant Biochemical Profile and Distinct Gene Expression in Lipedema. The Journal of Surgical Research, 253, 294–303. https://doi.org/10.1016/j.jss.2020.03.055

  3. Dinnendahl, V. (2024). Ausgezeichnete Forschung zu Lipödem-Schmerz und -Gewebe. LipödemGesellschaft e.V. https://lipoedem-gesellschaft.de/2024/11/07/ausgezeichnete-forschung-zu-lipoedem-schmerz-und-gewebe-gewinner-des-wissenschaftspreises-2024-der-lipoedemgesellschaft/

  4. G-BA (2019). LIPLEG-Studie – Liposuktion bei Lipödem in den Stadien I, II oder III. Gemeinsamer Bundesausschuss. https://www.g-ba.de/studien/erprobung/lipleg-studie/

  5. Herbst, K. L. (2020). Insights on the Pathophysiology, Diagnosis and Treatment of Lipedema. Today’s Wound Clinic. https://www.todayswoundclinic.com/articles/insights-pathophysiology-diagnosis-and-treatment-lipedema